Augsburger Integrationsbeirat auf neuen Pfaden

Integration bedeutet richtig Arbeit und ist keineswegs eine Aufgabe, die nur Zugewanderte zu erbringen haben. Mehr fachkundige Bürger*innen sollen sich künftig in die städtische Integrationspolitik einmischen.

Wenn uns demokratische Werte und Strukturen nicht um die Ohren fliegen sollen, müssen wir alle mit anpacken. Das Büro für Migration und allen voran Referent Reiner Erben bringen nun ein Modell an den Start, das eine gute strukturelle Grundlage hierfür bietet. Fachkundige Bürger*innen – mit und ohne Zuwanderungserfahrung, aber mit Kenntnissen in Migrationsfragen und Vereinsarbeit – sind aufgerufen, sich für den neuen Integrationsbeirat noch bis zum 3. März 2017 zu bewerben. Das mag für manche überraschend klingen. Will man jetzt den Zugewanderten in Augsburg ihre Stimme nehmen? Das Gegenteil ist der Fall. Der »Beirat für Integration, Migration, Flucht- und Aussiedlerfragen«, wie er mit vollständigem Namen lautet, gilt bisher als Gremium ohne Einfluss. In seiner mehr als 40-jährigen Geschichte ist es dem Beirat nicht gelungen wesentliche Impulse in der Stadtpolitik zu setzen. Es herrschten statt dessen sehr chaotische Verhältnisse, denn bestimmte Lobbygruppen versuchten, den Beirat für ihre partikularen Interessen zu instrumentalisieren. Dieses wirkungsloses Wirrwarr war Reiner Erben schon lange, auch vor seinem Amtsantritt als Geschäfstführer bei »Tür an Tür Integrationsprojekte« und Stadtratsmitglied der Grünen, ein Dorn im Auge. Zusammen mit Margret Spohn vom Büro für Migration, Interkultur und Vielfalt hat er ein Bündel an neuen Instrumenten ausgearbeitet. Die Arbeitsweise und Zusammensetzung des Beirats wird sich maßgeblich ändern.

Bisher wurden die Mitglieder des Integrationsbeirates alle sechs Jahre gewählt, jetzt gelangen sie über ein Bewerbungsverfahren hinein. Die Bewerbungen werden nach einem Punktesystem bewertet. Kriterien sind unter anderem eine fachlich passende Ausbildung und Berufsausübung, ehrenamtliches Engagement, Lebenserfahrung und interkulturelle Kompetenz. Ein Auswahlgremium, das aus Vertreter*innen aus dem Bildungs-, Wirtschafts-, Sozial- und Kulturbereich besteht, sichtet die Bewerbungen, ohne dass die Personen dahinter zu kennen sind. Drei Listen für die drei Ausschüsse Bildung, Kultur, Sport – Soziales, Asyl, Gesundheit, Recht – Wirtschaft, Arbeit, Stadtplanung, Ökologie mit je zehn Personen sollen so entstehen. Die Geschäftsstelle des Integrationsbeirates hat anschließend die Möglichkeit, weitere Punkte an die Bewerber*innen zu verteilen. Dabei spielen der Migrationshintergrund und die Geschlechtszugehörigkeit eine Rolle. Mindestens 30 Prozent Frauen sollen künftig im Beirat vertreten sein. Mit einem Stadtratsbeschluss sind die 30 Mitglieder des Integrationsbeirates schließlich im Amt. Flankiert wird der Beirat durch eine Stadtratskommission, der Stadträt*innen und der Vorstand des Integrationsbeirats angehören. Die Kommission wird Empfehlungen an Stadtrat und Verwaltung abgeben sowie den Beirat besser an den Stadtrat koppeln. Impulse für die Beiratsarbeit sollen außerdem aus dem neuen »Vereinsparlament« einfließen, das einmal im Jahr einberufen wird.

Das alles klingt ein wenig kompliziert, ist meines Erachtens aber den Aufwand wert. Der Beirat bekommt eine ganz neue Arbeitsgrundlage und eine echte Chance, Einfluss auf die Stadtpolitik zu nehmen. Schon der intensive Diskussionsprozess zur Umstrukturierung, der sich über viele Monate hinwegzog, war ein Gewinn und hat in vielen Köpfen ein Nachdenken über andere Herangehensweisen in der Politik ausgelöst. Klar, es müssen sich auch die »guten» Leute für das Gremium bewerben. Eine Mammutaufgabe wird der Posten des Vorsitzes im Integrationsbeirat sein. Turgay Cogal, der den Job in den letzten Jahren gemacht hat, berichtete bei einem Infoabend im Café Neruda, wie er manchmal an die Grenzen seines Ehrenamtes kam. Dennoch hat er die Arbeit gerne gemacht. Ein Gestaltungswille ist ihm zueigen. Den brauchen die neuen Kräften unbedingt!. Dabei darf man sich aber nichts vormachen. Der Wind wird von verschiedenen Seiten wehen. Auch wenn Anhänger*innen islamischer und türkischer Gruppen der Durchmarsch in den Integrationsbeirat wie in der Vergangenheit nicht mehr so ohne weiteres gelingt, wird ihr Bemühen um Durchsetzung ihrer Interessen nicht abnehmen. Auch die Einflussnahme auf den Stadtrat darf man sich nicht als Zuckerschlecken vorstellen. Es gibt genügend Exemplare unserer Volksvertreter*innen, die sich von Beteiligungsbürger*innen nichts sagen lassen wollen. Also, worauf warten wir? Bewerbungsbögen gibt es im Netz unter http://www.augsburg.de/integrationsbeirat/.

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