André Bücker, künftiger Bühnenchef am Theater Augsburg, sprach über die Kraft des Theaters, Widerstandspotenziale und die Fähigkeit, mit Kultur Kommunikation zu stiften. |
Mit seiner Arbeit bewegt sich André Bücker zwischen ausgezeichneter Hochkultur und subversiver Gegenkultur. Er war schon als junger Mensch jemand, der es nicht sein lassen konnte, sich einzumischen, ob als Klassensprecher oder im Schülerrat. Diese Aktivitäten haben seinen Blick auf das Theater geprägt, sagt er. Daher sieht er das Theater auch als politischen Ort, einen Ort des Diskurses und als Forum.
Zuletzt wirkte André Bücker am Anhaltischen Theater in Dessau. Dort hat er durch kreativen Protest versucht, drastische Budgetkürzungen abzuwenden. Mit Pauken und Trompeten zogen die Theaterleute um Sachsen-Anhalts Parlament, um dessen Mauern zu erschüttern, ganz wie im biblischen Jericho. »Ich habe eine Posaune und keine Angst sie zu benutzen« lautete der Slogan. Eine andere Aktion hieß »Pflöcke einschlagen«, bei der die Dessauer Stadtgesellschaft zur Beteiligung aufgerufen war. Professionelle Fassadenkletterer, Krankenhauspersonal in Kitteln und ganze Schulklassen befestigten Taue im Inneren des Theaters, warfen sie nach draußen, schlugen Pflöcke ein und verankerten das Theater, um es gegen Angriffe zu schützen. Das Foto von Frank Tauscher, mit dem dieser Beitrag illustriert ist, zeigt die eindrucksvolle Aktion. Bei dieser Veranstaltung trat auch der Oberbürgermeister von Dessau auf, hielt eine flammende Rede gegen den Kulturabbau und hatte dabei eine Axt auf der Schulter. Das war zu viel für die Landesregierung, die darauf Druck auf die Stadtregierung ausübte: Man möge den Blödsinn mit dem Theaterprotest doch unterlassen. André Bücker erhielt später die Quittung. Als die Stadtregierung wechselte, wurde sein Vertrag nicht mehr verlängert.
Eine ganz besonders politische Dimension hatte die Arbeit von André Bücker 2007 bekommen, als Skinheads in Halberstadt wüteten. Als Intendant am Nordharzer Städtebundtheater in Halberstadt-Quedlinburg brachte er das bunte Transvestiten-Musical »Rocky Horror Show« auf die Bühne. In der Nacht nach der Premiere gab es eine böse Überraschung. Fünf Schauspieler aus dem Ensembel wurden auf der Straße von Neonazis brutal zusammen geschlagen. Mehrere Mitglieder seiner Truppe sah André Bücker schlimm zugerichtet mit eingeschlagenen Gesichtern im Krankenhaus wieder. Besonders erschütternd war für ihn nicht nur die Tat an sich. Noch mehr schockiert und entsetzt war er darüber, dass die Polizei sich nicht sonderlich für den Vorfall interessierte. Schon am Tatort zeigten sich die Beamten wenig engagiert. Sie nahmen von den Opfern lediglich die Personalien auf und ließen die Täter, darunter ein polizeibekannter Rechtsextremer, davon spazieren. Gesamtversagen, hieß es später im Polizeibericht. Das Ergebnis solchen Unvermögens ist, dass sich Bürger*innen wegducken und bestimmte Orte meiden. Es ist André Bückers Überzeugung: »Es kann nicht wahr sein, dass wir uns in der Bundesrepublik Deutschland selber in unserer Freiheit beschneiden und nicht mehr an Plätze gehen, weil wir wissen, dass dort gewalttätige Neonazis lungern.«
Die Künstler*innen wurden nicht zusammengeschlagen, weil sie Sänger und Tänzer sind, sondern weil sie am falschen Ort zur falschen Zeit waren. Für den Theatermann war klar, hier muss man mit den guten Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit, die ein Theater hat, reagieren. »Auf die Plätze! Die Stadt gehört den Demokraten!« war eine der Antworten. Gemeinsam mit Bürger*innen der Stadt und der Region belebten Künstler*innen öffentliche Plätze mit Kunst und Kultur, um so ein Zeichen gegen den erstarkenden Rechtsextremismus für eine tolerante und freiheitliche Gesellschaft zu setzen. »Wir konnten etwas öffentlich machen, was sonst viel zu oft nicht öffentlich wird«, sagt André Bücker. Theaterkunst wirkte diesmal nicht nur auf der Bühne, sondern auch durch die Medienresonanz. Ganz wie ein Vergrößerungsglas, unter dem gesellschaftliche Zustände mit brutaler Deutlichkeit klar und unmissverständlich zu erkennen waren. Für das Ensembel war es wichtig, nach dem Angriff möglichst schnell wieder aufzutreten, auch um zu zeigen, das es sich von den Nazis das Theater nicht kaputt machen lässt. Sie hatten so gesehen die Falschen erwischt.
Das Theater soll laut André Bücker unterhalten, aber auch geistige Herausforderung sein, soll Raum für gesellschaftliche Diskurse bieten, Reizpunkte setzen, Utopien entwerfen. Es soll Menschen einladen, Brücken bauen und Kommunikation stiften. Die Dessauer Inszenierung »Schwarzweiß« im Jahr 2011 verfolgte letzteres Ziel in besondere Weise. Thema war der Fall von Ouri Jalloh, einem Asylbewerber, der 2005 in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers verbrannt war. Die Suche nach der Wahrheit über die Umstände seines Todes zog sich Jahre hin. Das Spektrum der Meinungen reichte von »Ouri Jalloh, das war Mord!« bis hin zur These, dass die Polizisten die eigentlichen Opfer seien. Der Vorfall ist bis heute nicht aufgeklärt und ein andauernder Schmerzpunkt in der Dessauer Stadtgesellschaft und insbesondere in der migrantischen Community. André Bücker machte aus dem Fall ein Rechercheprojekt. Das Team um die Regisseurin Nina Gühlstorff interviewte Flüchtlinge, Polizisten, den Staatsanwalt, Freund*innen des Toten und alteingesessene Dessauer*innen, Zugezogene und Verantwortliche. Sie stießen dabei von vielen Seiten auf Ablehnung. »Solange der Prozess läuft, können wir uns dazu nicht äußern«, hieß es. Die Theaterleute blieben dran. Schließlich wurde daraus eine theatrale Stadtbegehung an verschiedenen Orten. Bei der Premiere des Stückes bedankten sich fast zeitgleich der Polizeichef und der Vertreter der Black Community beim Intendanten, weil es endlich eine Möglichkeit gab, sich über das Unfassbare zu unterhalten. Die Kraft des Theaters hat gewirkt. André Bücker sagt, »das war einer der berührendsten Augenblicke in meinem Theaterleben.«