Die Stadtschülervertretung Augsburg sorgt für die politische Aufklärung von Schüler*innen und wirbt für politisches Engagement. (mehr …)
Kategorie: publikation
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Die Axt war zu viel
André Bücker, künftiger Bühnenchef am Theater Augsburg, sprach über die Kraft des Theaters, Widerstandspotenziale und die Fähigkeit, mit Kultur Kommunikation zu stiften. |
Mit seiner Arbeit bewegt sich André Bücker zwischen ausgezeichneter Hochkultur und subversiver Gegenkultur. Er war schon als junger Mensch jemand, der es nicht sein lassen konnte, sich einzumischen, ob als Klassensprecher oder im Schülerrat. Diese Aktivitäten haben seinen Blick auf das Theater geprägt, sagt er. Daher sieht er das Theater auch als politischen Ort, einen Ort des Diskurses und als Forum.
Zuletzt wirkte André Bücker am Anhaltischen Theater in Dessau. Dort hat er durch kreativen Protest versucht, drastische Budgetkürzungen abzuwenden. Mit Pauken und Trompeten zogen die Theaterleute um Sachsen-Anhalts Parlament, um dessen Mauern zu erschüttern, ganz wie im biblischen Jericho. »Ich habe eine Posaune und keine Angst sie zu benutzen« lautete der Slogan. Eine andere Aktion hieß »Pflöcke einschlagen«, bei der die Dessauer Stadtgesellschaft zur Beteiligung aufgerufen war. Professionelle Fassadenkletterer, Krankenhauspersonal in Kitteln und ganze Schulklassen befestigten Taue im Inneren des Theaters, warfen sie nach draußen, schlugen Pflöcke ein und verankerten das Theater, um es gegen Angriffe zu schützen. Das Foto von Frank Tauscher, mit dem dieser Beitrag illustriert ist, zeigt die eindrucksvolle Aktion. Bei dieser Veranstaltung trat auch der Oberbürgermeister von Dessau auf, hielt eine flammende Rede gegen den Kulturabbau und hatte dabei eine Axt auf der Schulter. Das war zu viel für die Landesregierung, die darauf Druck auf die Stadtregierung ausübte: Man möge den Blödsinn mit dem Theaterprotest doch unterlassen. André Bücker erhielt später die Quittung. Als die Stadtregierung wechselte, wurde sein Vertrag nicht mehr verlängert.
Eine ganz besonders politische Dimension hatte die Arbeit von André Bücker 2007 bekommen, als Skinheads in Halberstadt wüteten. Als Intendant am Nordharzer Städtebundtheater in Halberstadt-Quedlinburg brachte er das bunte Transvestiten-Musical »Rocky Horror Show« auf die Bühne. In der Nacht nach der Premiere gab es eine böse Überraschung. Fünf Schauspieler aus dem Ensembel wurden auf der Straße von Neonazis brutal zusammen geschlagen. Mehrere Mitglieder seiner Truppe sah André Bücker schlimm zugerichtet mit eingeschlagenen Gesichtern im Krankenhaus wieder. Besonders erschütternd war für ihn nicht nur die Tat an sich. Noch mehr schockiert und entsetzt war er darüber, dass die Polizei sich nicht sonderlich für den Vorfall interessierte. Schon am Tatort zeigten sich die Beamten wenig engagiert. Sie nahmen von den Opfern lediglich die Personalien auf und ließen die Täter, darunter ein polizeibekannter Rechtsextremer, davon spazieren. Gesamtversagen, hieß es später im Polizeibericht. Das Ergebnis solchen Unvermögens ist, dass sich Bürger*innen wegducken und bestimmte Orte meiden. Es ist André Bückers Überzeugung: »Es kann nicht wahr sein, dass wir uns in der Bundesrepublik Deutschland selber in unserer Freiheit beschneiden und nicht mehr an Plätze gehen, weil wir wissen, dass dort gewalttätige Neonazis lungern.«
Die Künstler*innen wurden nicht zusammengeschlagen, weil sie Sänger und Tänzer sind, sondern weil sie am falschen Ort zur falschen Zeit waren. Für den Theatermann war klar, hier muss man mit den guten Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit, die ein Theater hat, reagieren. »Auf die Plätze! Die Stadt gehört den Demokraten!« war eine der Antworten. Gemeinsam mit Bürger*innen der Stadt und der Region belebten Künstler*innen öffentliche Plätze mit Kunst und Kultur, um so ein Zeichen gegen den erstarkenden Rechtsextremismus für eine tolerante und freiheitliche Gesellschaft zu setzen. »Wir konnten etwas öffentlich machen, was sonst viel zu oft nicht öffentlich wird«, sagt André Bücker. Theaterkunst wirkte diesmal nicht nur auf der Bühne, sondern auch durch die Medienresonanz. Ganz wie ein Vergrößerungsglas, unter dem gesellschaftliche Zustände mit brutaler Deutlichkeit klar und unmissverständlich zu erkennen waren. Für das Ensembel war es wichtig, nach dem Angriff möglichst schnell wieder aufzutreten, auch um zu zeigen, das es sich von den Nazis das Theater nicht kaputt machen lässt. Sie hatten so gesehen die Falschen erwischt.
Das Theater soll laut André Bücker unterhalten, aber auch geistige Herausforderung sein, soll Raum für gesellschaftliche Diskurse bieten, Reizpunkte setzen, Utopien entwerfen. Es soll Menschen einladen, Brücken bauen und Kommunikation stiften. Die Dessauer Inszenierung »Schwarzweiß« im Jahr 2011 verfolgte letzteres Ziel in besondere Weise. Thema war der Fall von Ouri Jalloh, einem Asylbewerber, der 2005 in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers verbrannt war. Die Suche nach der Wahrheit über die Umstände seines Todes zog sich Jahre hin. Das Spektrum der Meinungen reichte von »Ouri Jalloh, das war Mord!« bis hin zur These, dass die Polizisten die eigentlichen Opfer seien. Der Vorfall ist bis heute nicht aufgeklärt und ein andauernder Schmerzpunkt in der Dessauer Stadtgesellschaft und insbesondere in der migrantischen Community. André Bücker machte aus dem Fall ein Rechercheprojekt. Das Team um die Regisseurin Nina Gühlstorff interviewte Flüchtlinge, Polizisten, den Staatsanwalt, Freund*innen des Toten und alteingesessene Dessauer*innen, Zugezogene und Verantwortliche. Sie stießen dabei von vielen Seiten auf Ablehnung. »Solange der Prozess läuft, können wir uns dazu nicht äußern«, hieß es. Die Theaterleute blieben dran. Schließlich wurde daraus eine theatrale Stadtbegehung an verschiedenen Orten. Bei der Premiere des Stückes bedankten sich fast zeitgleich der Polizeichef und der Vertreter der Black Community beim Intendanten, weil es endlich eine Möglichkeit gab, sich über das Unfassbare zu unterhalten. Die Kraft des Theaters hat gewirkt. André Bücker sagt, »das war einer der berührendsten Augenblicke in meinem Theaterleben.«
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Bayerischer Dabkè
Was haben Schuhplattler und arabische Reihentänze miteinander zu tun? Bei einem multikulturellen Tanzvergnügen in der Kresslesmühle war es zu erfahren. |
Glück gehabt. Als ich bei der Kresslesmühle ankomme, ist es schon brechend voll. Ich kann eines der letzten Tickets ergattern, um noch hineinzukommen. Mir begegnen Leute in bayerischen Trachten und arabischen Gewändern. Yalla Dabké, eine Münchener Tanzkombo mit arabischen Wurzeln und Magnus Kaindl, der Meister für bayerische Volkstänze, heizen die Stimmung an. Nach ein paar Showeinlagen dürfen alle mittanzen. Die Figuren sind schnell erlernt. Der Wiederholungsfaktor begünstigt den Lernerfolg. Die Frauen müssen sich beim bayerischen Tanz viel mehr drehen als die Männer. Ich halte durch, obwohl mir schon ganz schwindlig ist. Es macht einfach zu viel Spaß. Es ist eng, heiß und wild. Alle wirbeln durcheinander. Sogar auf den Rängen wird getanzt. Dabke ist ein traditioneller Tanz, der in Syrien, dem Libanon, Jordanien, Israel und Palästina verbreitet ist. Der Tanz ist eine Kombination aus Kreistanz und Line Dance und wird vor allem bei Hochzeiten, Festen und anderen fröhlichen Ereignissen getanzt. Die feurige Beinarbeit, vor allem von den männlichen Tänzern besticht. Das Stampfen ist so charakteristisch für den Tanz und drückt wohl gleichzeitig Wut und Lebenslust aus.
Veranstaltet wurde der Abend von den Habibi-Spatzls, einer Gruppe von Augsburger*innen mit unterschiedlicher Herkunft. Ihr Fokus ist die Verständigung zwischen deutschen und arabischen Augsburger*innen. Diese Verständigung ist mit dem Tanzabend hervorragend gelungen. So voll und fröhlich habe ich die Kresslesmühle noch nie erlebt!
Veröffentlicht bei a3kultur.
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Die göttliche Frequenz
Von Mai bis Oktober habe ich den Medienkünstler Reinhard Gupfinger bei seinem Projekt »Silent House of Prayer« begleitet. Wir haben mit dem Mikrofon religiöse Zeremonien besucht und dabei Erstaunliches erlebt. Um den räumlichen Höreindruck realitätsnah zu reproduzieren, hat der Künstler bei den Tonaufnahmen eine binaurale Aufnahmemethode mit Styroporkopf und zwei Mikrofonen verwendet. Repräsentativ für jedes Gotteshaus entstand das Einzelstück einer transparenten Schallplatte (Dubplate). Diese wurden erstmalig bei einem »Silent Event« am 4. August 2016 nur über Kopfhörer präsentiert. Die Tonaufnahmen hat Reinhard am Computer mit einer eigens entwickelten Software analysiert und entsprechende Frequenzen und Lautstärken für den Schneideprozess angepasst und aufbereitet. Ein spezielles Heißdraht-Schneidegerät ermöglichte eine Echtzeitübertragung der Tonspuren in Styropor und ähnliche Materialien. Je lauter die Klänge, desto höher die geschnittene Amplitude. Auf diese Weise hat der Künstler ganze Tonaufnahmen in Styropor geschnitten und daraus einmalige Gussformen angefertigt. Es erfolgte der Abguss mit keramischem Gießpulver. Abschließend wurden die Styroporstreifen aus der Form entfernt und das Relief war fertig. In einer Ausstellung in der Galerie Beate Berndt hat er sie im September und Oktober 2016 präsentiert.
Neben neun einzelnen Reliefs, die so für jede Klangaufnahme als Visulaisierung entstanden sind, hat Reinhard ein Gesamtrelief angefertigt und dabei die Frequenz 432 herausgefiltert. Eine Frequenz ist die Anzahl der Bewegungen nach oben und unten pro Sekunde – gemessen in Hertz. Manche sagen, dass das Hören von Musik in 432Hz hilft, uns mit unserer Umwelt und den natürlichen geometrischen Mustern des Universums neu auszurichten. Es wird dabei von der »göttlichen Frequenz« gesprochen.
Veröffentlicht bei a3kultur.
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Brauen und Bierschenken in der Augsburger Bäckergasse
Ausgerechnet Bäcker waren seit dem Mittelalter die besten Brauer. Es lag an der Hefe. Spannende Geschichten waren bei einer Führung der Friedrich-Naumann-Stiftung zu hören. |
Bier galt als wichtiges Lebensmittel und war bis ins 19. Jahrhundert hinein Hauptbestandteil der Nahrung. »Cervisiam bibat – Man trinke Bier«, sagte schon die heilkundige Hildegard von Bingen, die im 12. Jahrhundert lebte. Sie schrieb dem Bier eine muthebende und beruhigende Wirkung zu. Aufgrund der unzureichenden Hygiene war Bier gegenüber Wasser meist ein sicheres Lebensmittel und zudem ein wichtiger Energielieferant. Bier braucht Hefe zum Gären und in der Luft der Backstuben waren reichlich Hefesporen für eine kräftige Gärung zu finden. Für das Handwerk galt deshalb, »heute back‘ ich, morgen brau‘ ich!« Aber der Verlauf der Gärung war häufig ein Zufallsprodukt. Oftmals verdarben die wilden Hefen das Bier und es entstand ein ungenießbares Produkt. Dann waren »Hopfen und Malz verloren«, wie es im Sprichwort überliefert ist. Es gibt obergärige und untergärige Bierhefen. Die einen brauchen 15 bis 25° C zum Vergären, die anderen 5 bis 10° C. Während die Hefe bei den obergärigen Bieren im Verlauf des Gärprozesses an die Oberfläche des Jungbieres im Gärgefäß aufsteigen, setzen sie sich beim untergärigen Bier am Ende der Gärung auf dem Gefäßboden ab.
Noch heute sind in der Augsburger Bäckergasse zahlreiche Backstuben und Biergastätten zu finden. Im 17. Jahrhundert hatte beinahe jedes Haus mit der Back- oder Brauzunft zu tun. Geschichts- und Politikwissenschaftler Frank Schillinger, der zusammen mit der Historikerin und Pädagogin Monika Müller die Stadtführung durch Augsburg Biergeschichte leitete, zählte auf, was sich ab der Frühen Neuzeit in der Bäckergasse tat. Brauhäuser oder Bierschenken hatten illustre Namen wie »Zum Güterwagen«, »Zum Goldenen Krebs, »Zum Gelben Lamm«, »Zum Roten Ochsen«, »Zur Sonne« und »Zum Grünen Baum«. In der Hausnummer 17 befand sich ab 1801 der Vorläufer von Hasenbräu. Weil das Anwesen später zum Brauen nicht mehr ausreichte, wurde es 1900 auf das Gelände des ehemaligen Kapuzinerklosters zwischen der Kaiserstraße (später Konrad-Adenauer-Allee) und der Armenhausgasse verlegt. Das Stammhaus in der Bäckergasse wurde 1902 zur Gaststätte »Zur alten Hasenbrauerei«. Heute befindet sich Hasenbräu in der Kälberhalle auf dem Gelände im alten Schlacht- und Viehhof Augsburg.
Die Gäststätten »Sackpfeife« und »Anapam« in den Häusern 18 und 23 zählen ebenfalls zu den damaligen Brauanwesen mit »Braugerechtigkeit«. Diese umfasste das Mälzen, Brauen, Schroten und Schenken des Bieres. Das Braurecht gehörte im Mittelalter zu den Vorrechten der Grund- oder Landesherrschaft. Es war an ein Grundstück oder ein Haus gebunden. Bereits 1156 ist im Augsburger Stadrecht das Brauen von Bier als Gewerbe zugelassen. Diese Brauerordnung gilt als die älteste in Deutschland.
Veröffentlicht bei a3kultur.
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Soziale Plastik der Religionen
Reinhard Gupfinger aus Linz erreicht mit seiner Medienkunst das Außergewöhnliche: Muslimische und christliche Glaubensgemeinschaften bilden eine soziale Skulptur. Ich habe den Künstler und das Projekt in meinen Funktionen als a3kultur-Redakteurin und Mitglied des Trägervereins Hoher Weg e.V. begleitet.
Wir feiern das Hohe Friedensfest in Augsburg jedes Jahr als Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Vielfalt in dieser Stadt. Die Gleichberechtigung der Religionen ist dabei von besonderer Bedeutung. Der »Silent Event« des Medienkünstlers Reinhard Gupfinger, der gestern im Kulturhaus Abraxas statt fand, war ein wesentlicher Beitrag, um diesem hohen Gut ein Stück näher zu kommen. Islamische und christliche Glaubensgemeinschaften waren für ein paar Stunden in sehr gleichberechtigter Form präsent. Über 60 Menschen hatten sich versammelt, um die »Sounds des Friedens« zu hören: Sunniten von der Kammgarnmoschee mit ihrem Imam Faruk Aydin, Aleviten mit dem Vorsitzenden Orhan Aykac, Sufisten der Ussaki-Gemeinschaft mit dem Vorstand Ali Schmidt, Christen der Church of Pentecost mit dem Prediger Osahene Boateng sowie Protestanten und Katholiken. Wie war das möglich?
Reinhard Gupfinger hat zuvor in neun Glaubenseinrichtungen hochwertige Tonaufnahmen von Gebeten, Konzerten, Messen und Zeremonien gemacht, daraus jeweils acht Minuten extrahiert und jeden einzelnen «Sound des Friedens« auf eine Schallplatte pressen lassen.
- Bodaisan Shoboji – Zen-Buddhismus
- Mariendom – Katholisch
- Ussaki-Gemeinschaft – Muslime/Sufismus
- Selimiye Moschee – Muslime/Sunnitisch
- St. Anna – Protestantisch
- Church of Pentecost – Freikirchlich/Christlich
- Alevitische Gemeinde – Muslime
- St. Gallus – Katholisch
- Jüdische Gemeinde
Diese Unikate hat er bei seiner »Silent Disco« nach dem Zufallsprinzip aufgelegt. »Silent« heißt das Format deshalb, weil alle Gäste Kopfhörer tragen. Ganz individuell konnten die Zuhörer*innen den Klängen des Friedens lauschen und dabei zwischen drei verschiedenen Wiedergabekanälen auswählen. Diese ungewöhnliche Art der Begegnung erzeugte zu Beginn zunächst etwas Unsicherheit, dann Erstaunen und später ein beträchtliches Maß an Faszination. Ganz selbstbewusst können der Künstler und auch die Initiatoren des Artist-in-Resicence-Projektes »Welcome in der Friedensstadt« behaupten: Es ist gelungen, auf neutralem Boden – dem Boden der Kunst – sich zu treffen und zusammen eine soziale Plastik zu bilden, die sehr viel mit Frieden zu tun hat.
Weitere Details zu dem Projekt unter www.welcome-in-der-friedensstadt.de.
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Brilliante Stimmen aus Israel
Silent House of Prayer. Tonaufnahmen in Gotteshäusern. Neunte Station von AiR Reinhard Gupfinger in der Synagoge. |
Man kann sie nicht einfach betreten. Erst, wenn der Türöffner von innen betätigt wird, ist der Eingang in die Synagoge möglich. Männer sind angehalten, eine Kopfbedeckung zu tragen. Dies gilt auch für Nichtjuden. Die traditionelle Kopfbedeckung ist eine Kippa – ein Käppchen. Man kann aber auch einen Hut oder eine Mütze nehmen. In liberalen Synagogen beten Frauen und Männer zusammen, in orthodoxen getrennt. Die Frauen der Augsburger Synagoge beten auf der Empore. An diesem Tag ist aber kein Gottesdienst, sondern ein Konzert. Also nehmen alle Gäste in den Holzbänken im unteren Bereich des prächtigen Kuppelbaus Platz. Grüngoldenes Mosaik, aufwändige Maßwerkfenster, der doppelte Fensterkranz der Kuppel und vier Kugellampen aus Messing sind zu sehen – byzantinische und orientalisierende Details mit Anregungen aus der jüdischen Renaissance. Es ist recht dunkel.
Zunächst spielt die Klezmerband Feygele aus ihrem rasanten Repertoire. Aber vor allem die brillianten Stimmen des Ella Ensembles aus dem Musikkonservatorium in Kamiel in Israel haben es uns angetan. Sie singen unter der Leitung von Miriam Sade ergreifende israelische Lieder und Stücke in deutscher, russischer und spanischer Sprache. Ihre Musik ist wie geschaffen für den Kuppelraum. Leider ist der Genuss viel zu schnell vorbei. Die Veranstaltung wird im Anschluss wiederholt und das Publikum ist angehalten, rasch den Saal zu verlassen und Platz für die nachfolgenden Gäste zu machen. Reinhards Styroprokopf mit den Mikros auf den Ohren hat unglaubliche Klänge eingefangen. Sie werden im August im Kulturhaus Abraxas präsentiert.
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Zur Ehre der Rose
Silent House of Prayer. Tonaufnahmen in Gotteshäusern. Achte Station von AiR Reinhard Gupfinger in der St.-Gallus-Kirche. |
Etwas versteckt an der Stadtmauer im Domviertel befindet sich das nur 60 Quadratmeter große St.-Gallus-Kirchlein. Domkapitular Armin Zürm ist mit seinen Ministrant*innen schon vor Ort. Er hat zur Maienandacht eingeladen. Seine jungen Helfer*innen dürfen die Glocke bedienen. Sie ist mit Hand zu betätigen und das bedeutet ein gutes Stück Arbeit. Die Kinder machen sie mit Begeisterung, nachdem der Chef ihnen gezeigt hat, wie es geht.
Der Gebetsgottesdienst ist der Mutter Gottes gewidmet. Die Kinder schmücken den Altar mit Rosen. Die Rose ist ein Symbol für Maria, der Königin des Himmels und der Erde. Es ist eine ganz schlichte Zermonie, die vor allem durch die Gebete der Gläubigen ihren besonderen Klangcharakter bekommt. Die Tonaufnahmen finden Eingang in das Soundprojekt von Reinhard und bekommen ihren gleichberechtigten Platz neben den anderen Klängen aus den Glaubensgemeinschaften.
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Lebendes Weltkulturerbe
Silent House of Prayer. Tonaufnahmen in Gotteshäusern. Siebte Station von AiR Reinhard Gupfinger in der Alevitischen Gemeinde. |
Im Gemeindezentrum in Lechhausen finden Gebetsabende und Kulturveranstaltungen statt. Wir sind heute zu einem Seminar mit dem sehr bekannten und geschätzen Dertli Divani eingeladen. Vor allem den jungen Gläubigen möchte der Gelehrte (Baba) die Bedeutung der alten Lieder nahe bringen und damit die nicht aufgeschriebene Geschichte der Aleviten vermitteln. Dertli Divani hat für seine Arbeit den Titel »immaterielles Weltkulturerbe« erhalten. Damit das weltweit vorhandene traditionelle Wissen und Können erhalten bleibt, hat die UNESCO 2003 das Übereinkommen zur Erhaltung solchen Kulturerbes verabschiedet.
Gäste aus ganz Bayern treffen nach und nach im Gebetsraum ein. Sie rücken Sitzkissen zurecht und platzieren sich im Kreis. Männer, Frauen, Kinder. Wir sind mit Reinhards Styroporkopf samt Mikrofonen mitten drin. Als Beitrag zum Hohen Friedensfest werden die Tonaufnahmen gleichberechtigt neben Klängen aus anderen Religionsgemeinschaften bei einer Veranstaltung im August zu hören sein.
Zwölf Imame sind im Alevitentum heilige Personen und zwölf Kreissegmente weist der Teppich auf. »Gegen die Wand zu beten ist nicht unser Anliegen, sondern unser Anliegen ist gegen das Antlitz zu beten und das ist der Mensch«, lautet ein türkisches Sprichwort. Zwölf Musiker*innen sind anwesend. Aleviten transportieren ihr gesamtes religöses Wissen über Musik. Die Saz, ein Lauteninstrument, auch Baðlama genannt, gehört zu ihrer Kultur wie die Orgel in einer christlichen Kirche. Die alevitische Religion will den Menschen emotional eine Heimat geben, um Hoffnung zu tanken. Dabei spielt die Musik eine entscheidende Rolle. Die Saz viel mehr als nur ein Instrument. Sie ist der »Koran der Saiten«. Es sind melancholische Klänge in denen eine Sehnsucht nach einer besseren Welt mitklingt. Es sind Erinnerungen an gemeinsames Leid und die Unterdrückung der Aleviten durch die türkische Staatsmacht. Im Osmansichen Reich galten sie jahrhundertelang als »Ungläubige«. Daher wanderten viele türkische Aleviten besonders in den sechziger und siebziger Jahren nach Deutschland aus. Die Aleviten sind heute mit mehr als 500.000 Angehörigen die drittgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland.
Die Jugendlichen tanzen als eine andere Form des Gebetes. Im Takt der zwölf Sazinstrumente bewegen sie sich im Kreis wie die Planeten um die Sonne. Das symbolisiert nicht nur die Bewegung der Erde, sondern auch die ständige Bewegung der Natur. Das Seminar geht nach zwei Stunden mit einer Aussprache, an der sich einige Gemeindemitglieder mit Wortbeiträgen beteiligen, zu Ende. Auch wenn wir von dem Gesprochenen nichts verstehen konnten, begreifen wir doch, dass es eine große Verbundenheit unter den Gemeindemitgliedern gibt.
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Hearing and obeying
Silent House of Prayer.Tonaufnahmen in Gotteshäusern. Sechste Station von AiR Reinhard Gupfinger in der Church of Pentecost.
»Gottes Wort hören und befolgen«. Diese Worte stehen auf dem Transparent, das am vorderen Ende des Gemeindesaals der Church of Pentecost hängt. Bei unserer Ankunft in dem religiösen Zentrum in Stadtbergen in der Pfingstgemeinde ist gerade die Bibelstunde im Gange. Bald darauf geht sie in den Gottesdienst über. Aus Gebeten werden Gesänge, ausgelassene Freudentänze und ein Lachen, wie man es wohl kaum von einer anderen Religionsgemeinschaft kennt. Die Gläubigen, viele sehr junge Leute und Kinder, grooven sich immer mehr ein und preisen Gott unablässig. Sie sind im Dialog mit dem Priester. Heute ist »Men`s-Day« und die Kinder haben spezielle Danksagungen wie »We love you all!« für die Männer vorbereitet. Jedes Kind wird für seinen Spruch mit einem tosenden Beifall belohnt. Auch wir werden in den Bann gezogen und herzlich umarmt.
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